4. April 2016 OLG Stuttgart: Bausparkasse darf nicht kündigen

Mit einem Urteil vom 30.03.2016 entschied das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG), dass die Kündigung eines Bausparvertrages unzulässig war und verurteilte die Wüstenrot Bausparkasse zur Fortsetzung des Bausparvertrages.

Die Bausparkasse Wüstenrot hatte den im Jahr 1978 abgeschlossenen Bausparvertrag der Klägerin gekündigt, weil seit Zuteilungsreife mehr als 10 Jahre verstrichen waren. Die Bausparkasse sah sich berechtigt, den Vertrag zu kündigen, obwohl nach den den allgemeinen Bausparbedingungen des Vertrags eine Kündigung wegen längerer Nichtabnahme des Bauspardarlehens nicht vorgesehen war.

Das Oberlandesgericht Stuttgart entschied nun, dass diese Kündigung unzulässig war. Der Vertrag sei fortzusetzen. Die Guthabenverzinsung sei auch weiter zu zahlen.

Entscheidung mit Signalwirkung

Dieses Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart (AZ: 9 U 171/15) hat somit Signalcharakter. Denn es hatten bereits andere Oberlandesgerichte gegen die Bausparer entschieden und die Kündigungen der Bausparkassen für rechtmäßig erklärt. Aufgrund der Entscheidung des OLG Stuttgart, in der die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen wurde, wird dieser nun wahrscheinlich über die Streitfrage nunmehr abschließend zu befinden haben.

Tausende von Verträgen wurden bundesweit gekündigt

Bundesweit sind bereits tausende von zuteilungsreifen Bausparverträgen durch die Bausparkassen (u.a. BHW, Schwäbisch Hall, LBS) gekündigt worden. Dies durchweg mit der Begründung, dass 10 Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife des Bausparvertrages ein gesetzliches Kündigungsrecht seitens der Bausparkasse bestehe. Hintergrund ist natürlich, dass die Bausparkassen die zugesagten Sparzinsen aufgrund des aktuell niedrigen Zinsumfeldes nicht mehr weiter bezahlen wollen.

Zur Kündigung sahen sich die Bausparkassen (maßgeblich aufgrund eines Urteils des Landgerichts Mainz) berechtigt, obwohl die Bausparbedingungen der Bausparverträge regelmäßig keine Kündigungsmöglichkeit der Bausparkassen vor für den Fall vorsehen, dass nach Zuteilungsreife der Vertrag als Sparvertrag weitergeführt und das Bauspardarlehen nicht abgerufen wird.

Der konkret dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vorliegende Fall

Die Klägerin hatte 1978 einen Bausparvertrag mit einer Bausparsumme von 40.000 DM (20.451,68 €) abgeschlossen. Für die Laufzeit erhielt sie für von ihr eingezahlte Raten einen Guthabenzinssatz von 3 % p. a. bei einem Bauspardarlehenszinssatz von 5 % p. a. Der Vertrag wurde 1993 zuteilungsreif. Nach Zuteilungsreife stellte die Bausparerin die regelmäßige Zahlung der Sparraten ein, ohne ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen. Im Januar 2015, also knapp 22 Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife, kündigte die Bausparkasse den Bausparvertrag. Das Bausparguthaben belief sich zu diesem Zeitpunkt auf ca. 15.000 €; die Bausparsumme war also nicht vollständig angespart.

Das OLG Stuttgart hält Kündigung für unzulässig

Der unter anderem für das Bankrecht zuständige 9. Zivilsenat des OLG Stuttgart hält die Kündigung der Bausparkasse für unberechtigt. Diese könne sich nicht auf die Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB berufen, wonach ein Darlehensnehmer das Darlehen zehn Jahre nach dessen vollständigem Empfang kündigen könne (den Sparvertrag qualifiziert das OLG Stuttgart rechtlich als Darlehen des Bausparers an die Bausparkasse). Nach den Allgemeinen Bausparbedingungen sei der Bausparer verpflichtet, Regelsparbeiträge bis zur erstmaligen Auszahlung der Bausparsumme zu zahlen. Vor Ende dieser Pflicht habe die Bausparkasse das als Darlehen anzusehende Guthaben nicht vollständig empfangen. Der Zeitpunkt der Zuteilungsreife spiele nach den Vertragsbedingungen keine Rolle.

Bausparkasse hat Regelsparbeitrag nicht angefordert

Die gesetzliche Kündigungsvorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB sei auf zuteilungsreife Bausparverträge nicht anwendbar, auch nicht analog. Die „überlange Vertragsdauer“ beruhe zwar auf der Einstellung der Regelsparleistungen durch die Bausparerin. Diese müsse die Bausparkasse aber nicht hinnehmen: Nach den Vertragsbedingungen könne sie die Bausparerin nämlich auffordern, die vertraglich geschuldeten Sparbeiträge wieder zu leisten. Werde der Aufforderung nicht Folge geleistet, habe die Bausparkasse ein (kurzfristiges) vertragliches Kündigungsrecht und es dadurch selbst in der Hand, eine überlange Bindung an den Vertragszinssatz zu verhindern.

Kündigung nach Vollbesparung möglich

Im Fall der ordnungsgemäßen Vertragsdurchführung wäre die Bausparsumme innerhalb von zehn Jahren ab Zuteilungsreife durch die regelmäßigen Sparbeiträge und die Zinsgutschriften vollständig angespart worden. Nach Eintritt der Vollbesparung ist nach herrschender Meinung der Bausparvertrag kündbar, da er dann seinen Zweck erreicht hat. Dies hatte bereits früher der Bundesgerichtshof so bestätigt.

Keine Schutzbedürftigkeit der Bausparkasse

Das OLG Stuttgart sah im Verzicht auf die Anforderung der regelmäßigen Sparbeiträge den entscheidenden Grund dafür, dass die Bausparkasse nicht schutzbedürftig sei. Wenn die Bausparkasse selbst – möglicherweise im eigenen Interesse – ein faktisches Ruhen des Bausparvertrages erlaube und ein vertragliches Kündigungsrecht nicht nutze, sei sie nicht schutzbedürftig und könne sich nicht später auf eine analoge Anwendung eines gesetzlichen Kündigungsrechts berufen.

Die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) hat der Senat zugelassen, weil die Frage der Anwendung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf zuteilungsreife Bausparverträge grundsätzliche Bedeutung hat und andere Oberlandesgerichte eine gegenteilige Auffassung vertreten. Da die Bausparkasse Einlegung der Revision angekündigt hat, wird wohl der BGH über diese Streitfrage entscheiden müssen.

Akzeptieren Sie nicht die Kündigung Ihres Bausparvertrages

Das OLG Stuttgart hat die Rechtsauffassung von Mayer & Mayer Rechtsanwälte  – die wir in zahlreichen Verfahren vertreten – somit umfassend bestätigt. Hierdurch dürften sich die Chancen auf einen positiven Verlauf des Gerichtsverfahrens deutlich erhöht haben. Aber auch die Einigungsbereitschaft der Bausparkassen sollte sich dadurch verbessert haben.

Gerne prüfen wir auch Ihre Aussichten und vertreten Sie in der Auseinandersetzung mit Ihrer Bausparkasse.

Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart